Gedanken zum naturalistischen Gartenstil
Über den naturalistischen Gartenstil gibt es in Büchern und im Internet sehr wenig Informationen. Deshalb möchte ich hier Einiges zusammentragen, da ich denke, dass die Gestaltungsgrundsätze für unseren Garten dem naturalistischen Stil sehr nahe kommen.
Doch blicken wir zunächst weit zurück in die Vergangenheit der Staudenverwendung im Garten. Durch das Buch von Forchert (2004) „Naturalismus und Historismus“ über Gustav Meyer (1816-1877) und sein Lehrbuch der schönen Gartenkunst (1860) bekommen wir früheste Hinweise zur Stilrichtung des Naturalismus. Meyer bezeichnet die Gartenkunst Chinas als Vorbild für den von ihm geschaffenen naturalistischen Gartenstil.
Foerster (1874-1970) gibt in seinem Buch „Der Steingarten der sieben Jahreszeiten“ (1981) einen kurzen Überblick der Gartenhistorie in seiner unverwechselbaren Schreibweise, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: „Bis zu Goethes Zeiten liefen, durch Erdräume getrennt, zwei große Ströme der Gartengestaltung ohne Verbindung nebeneinander her. Erst vor anderthalb Jahrhunderten wurden die Wasser des fernen, fremden Stromes nach Europa geleitet. Unser neues Jahrhundert arbeitet nun an einem Netz von Kanälen zwischen den beiden Kunstwelten. Heimatländer des einen Stroms, nämlich der der regelmäßig-architektonischen, also baulichen Gartengestaltung, sind Europa, Indien und der Orient. Urland des anderen Stroms, der naturhaften Gartengestaltung, ist der Osten: China und Japan…. Welch ein Ereignis, als der goldene Oststrom über England zu uns geleitet wurde.“
(Einige Eindrücke von Fernöstlicher Gartenkunst finden Sie unter „Japanische Gärten„.)
An anderer Stelle charakterisiert Foerster diese beiden Gartenstilrichtungen folgendermaßen: „Die eine Hälfte der Gartengestaltung ist dem Gesetz der Prachtentfaltung ohne Rücksicht auf das Wildnisleben der Pflanze unterworfen und schließt sich an geometrische Umgebungen der Pflanzung an, während auf der anderen Seite die Wildnisgartenkunst das natürliche Vorkommen der Pflanze in der Wildnis an passenden Gartenplätzen nachbildet und sich hierbei aber auch veredelter und fremdbeheimateter Wildnisgartengestalten bedient, die in das geschaffene Naturbild hineinpassen.“
Bereits zu der Zeit als in England das erstrebenswerte Ziel der Gartengestaltung noch in streng gestalteten Anlagen mit akkurat gepflegten Rasenflächen und schnurgeraden Beeten einjähriger, tropischer Blumen bestand, veröffentlichte William Robinson (1838-1935) in seinem Buch „The Wild Garden“ (1870) zum ersten Mal die Idee, Wildstauden aus allen Erdteilen zu Schmuckstücken des Gartens zu machen. Diese sollten so platziert werden, dass sie ohne Pflege gedeihen.
Als Beispiel nannte er die Frühlingsblüher, ganz besonders den Winterling (Eranthis hyemalis), der sich ohne Zutun des Menschen wunderbar im Garten etablieren kann. Auch andere noch heute für den naturalistischen Garten geltende Hinweise wurden von ihm postuliert: Das abgestorbene Staudenkraut sollte erst im Frühjahr entfernt werden. Der Boden sollte nie ohne Bodendecke sein. Bezüglich des Bodens sollte man keine umfangreichen Veränderungen vornehmen, sondern man sollte die Pflanzen dem Boden anpassen, d. h. auf Lehmboden sollten Pflanzen stehen, die auf Lehm gut wachsen. Im Buch gibt es zahlreiche Listen für die entsprechenden Standorte. Die Besprechung der einzelnen Wildstauden für den Wildgarten liest sich wie ein heutiger Staudenkatalog nur ohne Erwähnung von Züchtungsformen.
Robinson schreibt, dass 75 % aller Wildstauden Gefährten des Grases sind und dass der Wildgarten die wahre Heimat der großen Farne ist. Foersters „Einzug der Gräser und Farne in die Gärten“ (1957) fand also bereits ein Jahrhundert früher in Robinsons Wildgarten statt.
Dieses bahnbrechende Buch wurde 2009 mit neuen Kapiteln und Fotos von Rick Darke neu aufgelegt. „Der „Wilde Garten“ proklamiert den naturalistischen Gartenstil basierend auf Robinsons beträchtlichen Erfahrungen als Gärtner, Botaniker und als unmittelbarer Beobachter der natürlichen Vorkommen der Pflanzen. Das Buch ist noch heute für Gartengestalter relevant, die ästhetisches Design mit biologischer Diversität und Nachhaltigkeit kombinieren möchten.“ (Darke, 2009). Im Vorwort von Rick Darke wird als Quelle von Robinsons Naturalismus die wachsende Industrialisierung Englands genannt. Robinson wollte etwas von der „Wildnis“ in den Garten retten.
Obwohl Robinson die natürlichen Standorte der Gartenpflanzen in den Alpen und in Nordamerika besuchte, war er nie in China oder Japan, In seinem Buch erwähnte er auch nicht die fernöstliche Gartenkunst. Möglicherweise hat ihn die tragische Lage Chinas zu seinen Lebzeiten davon abgehalten. Für Foersters „goldenen Oststrom“ über England (s. o.) habe ich bei Robinson keinen Hinweis gefunden.
Die berühmte englische Gärtnerin, Gertrude Jekyll, war mit Robinson befreundet und in ihren Gestaltungen eng mit seiner Gartenphilosophie verbunden. Die Gedanken zum „Wildgarten“ erreichten zu Lebzeiten Robinsons auch Nordamerika und Europa. Im Vorwort von Rick Darke zur Neuauflage wird erwähnt, dass der deutsche Gartenarchitekt, Willy Lange in seinem Naturgartenkonzept von William Robinson stark beeinflusst wurde. Ich habe mal in Langes Büchern gestöbert. In „Gartenbilder mit Vorbildern aus der Natur“ (1922) schreibt er zwar viel über Natur und Gartenkunst, z. B. über die Gestaltung nach Baugedanken und nach Naturgedanken (siehe Foerster) aber für Robinsons Buch habe ich nur folgende eher negative Bemerkung auf Seite 64 gefunden: „Unter Naturpark sollte man verstehen, was uns von England her mit einem widersinnigen Ausdruck als „Wildgarden“ empfohlen wurde; Wildnis und Garten sind die größten begrifflichen Gegensätze.“
Was ist nun heute, mehr als hundert Jahre später vom naturalistischen Gartenstil geblieben?
Wenn als Quelle von Robinsons Naturalismus die wachsende Industrialisierung Englands genannt wurde, dann ist doch heute ein naturalistischer Gartenstil viel notwendiger, zu einer Zeit in der auch die Landwirtschaft industrialisiert wurde.
Ein weitere Notwendigkeit ergibt sich aus dem Überstehen immer häufigerer Unbilden des Wetters: 2010 die große Trockenheit im Sommer, 2011 Rekordregenmengen hier bei uns im Nordosten und im Februar 2012 hatten wir die niedrigsten Wintertemperaturen seit Jahrzehnten mit mehr als -20°C. Die deutschen Staudenbetriebe vermelden laut „Gartenpraxis“ 05-2012, S. 4 20 bis 40 % Verluste!
Vorweg sollte man klarstellen, dass der naturalistische Gartenstil wenig mit der Naturgartenbewegung zu tun hat, die in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann, denn diese erlaubt nur die einheimischen Wildstauden, während Robinson und Förster die Wildstauden ganz Europas, Amerikas und Asiens ausdrücklich einschließen. Möglicherweise wurde der naturalistische Gartenstil durch die Naturgartenbewegung wiedererweckt. Gewissermaßen aus Protest gegen die einseitige Verwendung nur einheimischer Wildstauden.
Hansen und Stahl (1987) schreiben in ihrem Buch „Die Stauden und ihre Lebensbereiche“, dass sich unter dem Eindruck der Verarmung und Zerstörung der Umwelt die Fachwelt zunehmend mit der Wildgartenkunst und dem wildnishaften Garten von Foerster beschäftigt. Mit der Einführung der Lebensbereiche durch Hansen und Stahl, die von Kühn (2011) als entscheidender Schritt zu einer wissenschaftlich begründeten naturhaften Staudenverwendung bezeichnet wird, treten sie auch in die Fußstapfen von Robinson ohne ihn und seinen naturalistischen Gartenstil im Buch zu erwähnen.
Barth (2009) schreibt in „Der moderne Staudengarten“, dass eine neue Ästhetik in den Staudengarten Einzug gehalten hat, die mehr Wildheit, Naturhaftigkeit und Ungezwungenheit zulässt und ihre Vorbilder in Wiesen, Prärien und Steppen findet. „Naturalistisch“ ist nicht zu finden.
Das recht umfangreiche und sehr wissenschaftlich geschriebene Buch von Kühn (2011) „Neue Staudenverwendung“ erwähnt im Kapitel „Geschichte der Staudenverwendung“ William Robinson aber nicht den Begriff „naturalistisch“. Im Kapitel „Aktuelle Tendenzen in der Staudenverwendung“ werden Präriepflanzungen, Staudenwiesen u. a. genannt aber der Begriff „naturalistisch“ wird nicht gebraucht. Unter der Überschrift „Der Charme des Wilden: Neue Natürlichkeit“ werden Gerritzen und Oudolf mehrfach zitiert, aber „naturalistisch“ ist nicht zu finden. Am Ende des Kapitels wird festgestellt, dass es nicht viele Beispiele für diese Art der Gestaltung gibt.
In anderen neueren Staudenbüchern z. B. dem sehr schönen Buch „Präriegärten“ von Machiels u. a. (2010) definieren die Autoren den naturalistischen Gartenstil als naturnahen Garten, der Wildstauden aus allen Erdteilen enthält und bezeichnen den Präriegarten als konsequente Weiterentwicklung des naturalistischen Gartenstils.
Rehm-Wolters u. a. (2011) schreiben im Buch „Stauden im Garten“ vom New German Garden Style als neuen naturalistischen Gestaltungsstil, der in der Staudenszene für Aufsehen sorgt.
In dem Artikel ”Ein Hauch von Prärie im Garten“ wird Prof. Cassian Schmidt, Leiter des Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof in Weinheim zum Präriegarten zitiert „Es geht bei der Gartengestaltung nicht um eine naturgetreue Kopie der Prärielandschaft, sondern um einen neuen naturalistischen, gräserreichen Gartenstil“.
In dem Artikel „Die pure Schönheit des Wildgartens“ nennt Noel Kingsbury die Begriffe „Stilisierte Natur“ und „Gärtnern im natürlichen Stil „, wenn er über seinen Wildgarten spricht.
Was ist das Besondere am naturalistischen Gartenstil?
In einem Interview für die New York Times sagte Piet Oudolf sinngemäß: „Der naturalistische Gartenstil kopiert nicht die Natur sondern gibt ein Gefühl von Natur. Du schaust über die Staudenwiesen und das geht tiefer, als das was Du siehst. Es erinnert Dich an etwas in den Genen-die Natur oder die Sehnsucht nach der Natur.“
(zitiert von: http://landscapeofmeaning.blogspot.com/2011/11/garden-designers-roundtable.html).
Thomas Rainer aus den USA äußert in seinem Blog-Artikel „Why we plant“ vom Februar 2012 (http://landscapeofmeaning.blogspot.com/2012/02/why-we-plant.html) mich sehr berührende Gedanken zum, wie ich meine, naturalistischen Gartenstil, die ich hier zitieren möchte:
„Wenn ein Blick in den Garten an eine größere Landschaft erinnert, wenn eine Gruppe von Pflanzen einem das Gefühl gibt durch eine Wiese zu laufen, oder durch einen dunklen Wald zu wandern, oder eine Waldlichtung zu betreten, dann hast du eine emotionale Erfahrung geschaffen. Und das ist für mich die wesentliche Kunst des Pflanzendesigns: zu wissen, wie man Pflanzen arrangieren muss, damit unsere Erinnerung an die Natur heraufbeschworen wird.“
Rainer hat sich den Satz von Oudolf geborgt (s. o.) und schreibt: „Ich glaube jeder von uns sehnt sich nach der Natur. Auch ein armes Kind, das in der Stadt lebt und noch nie einen Wald, eine Wiese oder das Meer gesehen hat. Denke daran: wir verbrachten Tausende von Jahren draußen und lernten uns in Feld und Wald zurecht zu finden. Wir wissen instinktiv, wovor wir uns in acht nehmen müssen und was uns gut tut. Das nicht zu wissen könnte den Tod bedeutet haben.“
Die Sehnsucht nach der Natur, die tief in uns Menschen steckt, wird in einigen wissenschaftlichen Publikationen thematisiert, z. B. von Ulrich, 2004 und im Review von Grinde und Grindal-Patil, 2009. Ulrich schreibt: „Eine evolutionäre Erklärung für die Sehnsucht nach Natur beinhaltet die Tatsache, dass zwei Millionen Jahre der Entwicklung des Menschen in der Natur stattfanden. Pflanzen waren von entscheidender Wichtigkeit für das Überleben im größten Teil der menschlichen Evolution, als Nahrung, als Baumaterial für Hütten und als ein Zeichen von Wasser. Das hat Spuren beim modernen Menschen hinterlassen, die eine biologische oder genetische Prädisposition zu einer positiven Einstellung des Menschen zur Natur bewirken.