Shangrila im Hochland von Yunnan, China

Shangrila ist ein Mythos, eine Utopie und ein Zauberwort. Shangrila wird als Trauminsel besungen und  bezeichnet Hotels und Resorts überall auf der Welt und besonders in Asien. Es gibt auch ein Buch und einen Film über einen geheimnisvollen Ort  mit dem Namen Shangrila irgendwo in Tibet. Ich weiß nicht mehr, wie ich Shangrila fand, aber es ließ mich nicht mehr los, nachdem ich das Buch gelesen hatte. Bei Internet-Recherchen fand ich dann auch, dass ein Gebiet in China, das zuvor Zhongdian hieß, 2001 zur Förderung des Tourismus offiziell in Shangri-La umbenannt wurde.
Der Nordwesten der chinesischen Provinz Yunnan, das Areal der Hengduan Gebirges, bildet zusammen mit den anderen Gebieten des Ost-Himalaya, wie Nepal, Bhutan, Sikkim, Südost-Tibet ein einzigartiges Florenreich. Der Einfluss des geringen Breitengrades (27° nördlicher Breite, wie z. B. Nordafrika) und der großen Seehöhe (bis 4.000 m, wie z. B. die Alpengipfel) lässt mehr als 5.000 Pflanzenarten gedeihen. Sie spielen eine große Rolle in der Geschichte der Gartenkultur der ganzen Welt.
Im Juni 2006 war meine vierte Dienstreise zur Agraruniversität von Nanjing. Einige Erfahrungen mit Land und Leuten hatte ich also bereits gesammelt, so dass ich mich entschloss, noch zwei Wochen Urlaub zu nehmen und diesmal ohne chinesische Begleitung das Traumland Shangrila zu besuchen.
Die Bestimmung der Pflanzen erfolgte mit Hilfe des Buches Highland Flowers of Yunnan von Guan Kaiyun und Zhou Zhekun.

Shangrila, Songzanlin-Kloster

„Kevins Trekker Inn“, Morgenblick aus dem Fenster. Die größte Gebetsmühle der Welt steht in der Altstadt.

„Kevins Trekker Inn“ hat eine original tibetische Inneneinrichtung im Aufenthaltsraum.

„Kevins Trekker Inn“ war schnell im Internet gefunden und das ganze Gegenteil der ebenfalls recht zahlreichen Hotels in der Stadt Zhongdian. Die Eigentümer, ein junges, freundliches chinesisches Ehepaar, sprachen sehr gut englisch. Ein Doppelzimmer kostete 5 Euro pro Nacht, ein westliches Frühstück mit Toast, Schinken, Marmelade, Rührei und einer großen Tasse hervorragendem Yunnan-Kaffee kostete 1,30 Euro. Zum Abendessen gab es gebratene Nudeln oder Reis mit etwas Fleisch und Gemüse für 1 Euro und eine Büchse Bier für 0,80 Euro. Was will man mehr. Eine Tagestour mit dem Jeep in die Berge, einschließlich Fahrer und Führer, kostete 50 Euro. Sicher hätte man auch noch handeln können. In Zhongdian begegnet man zahlreichen Zeugnissen der tibetischen Kultur, sowohl in der sorgsam rekonstruierten Altstadt mit einer riesigen Gebetsmühle, als auch in den prachtvollen Klöstern der Umgebung. Ausländischen Individualtouristen bin ich nur gelegentlich begegnet. Was aber wird, wenn der Massentourismus kommt?

Altstadt von Zhongdian

Wanderung zum Songzanlin-Kloster

Am ersten Tag erkundete ich die Umgebung von Zhongdian und wanderte zum Hühner-Tempel und anschließend zum Songzanlin-Kloster. Es fahren auch Busse zum Kloster, aber ich wollte doch die Blumen am Wegesrand erkunden. Das Kloster ist angelegt wie der Potala Palast in Lhasa und wunderschön restauriert. Im Kloster leben 800 Mönche, und ich konnte viele Räumlichkeiten besuchen und den Klängen ihrer Trommeln und Gesänge lauschen. Die farbenprächtige Ausstattung, die zahlreichen Kerzen und Gerüche ließen mich für einige Zeit die Wildstauden vergessen. Die 5 km Fußmarsch haben sich gelohnt. Unterwegs fand ich viele Gebirgspflanzen, wie Androsacea spinulifera, Anemone rupestris, Lotus corniculatus var. japonicus, Aster souliei, Gentiana asterocalyx, Polygonum milletii, Iris ruthenica var. nana und viele andere. Ein Tipp meiner Wirtsleute war auch der Besuch des Baiji Tempels. Der Name bedeutet „Tempel der Hundert Hühner“. Dieser kleine Tempel liegt oberhalb der Stadt und wird nur von einem Mönch bewohnt, der tatsächlich zahlreiche Hühner und eine Kuh betreut. Ich war sein einziger Besucher und wurde nach einer kleinen Spende mit Yakbutter-Tee und Yak-Käse bewirtet.

Songzanlin-Kloster

„Hühner-Tempel“ mit Gebetsfahnen

Mein Gastgeber im „Hühner Tempel“

Androsacea spinulifera

Hyoscyamus niger

Hinter den Klostermauern stand eine recht große, seltsame Pflanze. Im Buch „Highland Flowers of Yunnan“ habe ich sie nicht gefunden. Ich schickte das Bild einer sehr versierten Gartenfreundin, die es auf Anhieb erkannte. Es ist Hyoscyamus niger, das Schwarze Bilsenkraut auch als Schlafkraut, Teufelswurz und Tollkraut bezeichnet. Es kommt in Europa und Asien und sogar in Nordafrika vor. Das Bilsenkraut ist als Droge mit berauschender Wirkung seit langem bekannt und wurde daher auch als Hexenpflanze bezeichnet. Man kann es rauchen oder einen Tee bereiten. Da das hier kein Rezeptbuch für Drogenfreunde werden soll, will ich es damit belassen, obwohl die Droge legal ist und wenig Suchtpotential haben soll. In der Vergangenheit wurde es auch als Gift eingesetzt. Bevor das Reinheitsgebot für Bier in Kraft trat, sollen die Samen zur Verstärkung der alkoholischen Wirkung verwendet worden sein. Was die Mönche damit getrieben haben, weiß ich leider nicht.

Busfahrt zum Bita-See

Das Naturschutzgebiet Bita-See liegt 25 km östlich von Zhongdian in 3.500 m Höhe. Der See ist bis zu 40 m tief. Mehr als 2.000 Samenpflanzenarten sollen hier vorkommen. Ich las, dass man zum See nur sehr schwer vordringen kann, da es keine Straßen gibt. Leider, doch! So wünschenswert es für die abgelegenen Gegenden Chinas ist, dass sich die Infrastruktur verbessert, so schrecklich ist es für die letzten Naturparadiese. Es gibt inzwischen eine Straße, einen Busparkplatz für zig Reisebusse und einen Holzsteg um den halben See. Die Bauarbeiten waren 2006 noch im Gange. Auf den Wiesen weideten Pferde, und die berühmten Primeln konnte ich nur noch unterm Steg entdecken, wo die Pferde sie nicht erreichten. Ob sie mit Huf oder Maul vertrieben wurden, kann ich nicht sagen. So wandelten wir in Busbesatzungsstärke auf dem Holzweg und bestaunten die herrlichen Rhododendren. Am Ende des Stegs zwang uns ein Verbotsschild zum Umkehren. Ein Studentenpaar aus Shanghai, das mit mir von Kevins Trekker Inn aufgebrochen war, meinte, dass ein Verbot zu übertreten doch immer sehr reizvoll sei. Wo haben sie diese Weisheit wohl her? Bestimmt nicht von Konfuzius. Doch in diesem Fall stimmte ich ihnen zu, und so sah ich doch noch die Primelwiesen vom Bita-See. Primula secundiflora und P. sikkimensis sind in Shangrila allgegenwärtig. Ihr Verbreitungsgebiet in der Höhe erstreckt sich von 3.200 bis 4.400 m, wobei P. secundiflora bis 4.800 m wächst. Während P. secundiflora auf China beschränkt bleibt, kommt P. sikkimensis auch in Bhutan, Indien, Myanmar, Nepal und wie der Name schon sagt in Sikkim vor. Die Yaks rühren sie nicht an. Jedes Jahr im Mai und Juni entfalten sich die Rhododendrenbüsche am Steilufer des Sees zu voller Pracht. Man sagt, dass die Blütenblätter der Rhododendren auf die Wasseroberfläche fallen und die Fische sie fressen. Die Fische vergiften sich dadurch und treiben Bauch nach oben. So werden sie eine leichte Beute der Bären, die aus den umliegenden Wäldern kommen. In Alaska sah ich einen ähnlichen Steg an einem Bachlauf. Etwa 50 Leute waren da, einige schwerbewaffnet mit Pfefferpistolen. Tatsächlich kam ein Bär zum Lachsfang! Das war am Abend, und der Parkplatz für die Autos war gleich um die Ecke. Hier am Bita-See sah ich keine Autos, aber wie lange noch?

Bita-See

Rhododendren am „Holzweg“

Yaks und Primula secundiflora

P. sikkimensis

Taxifahrt zum Napa-See

Der zweite Ausflug sollte zum Napa-See gehen, weil es dort Orchideen geben soll. Ein Taxifahrer war schnell gefunden, und nach etwa 8 km hielt er mitten in einer Graslandebene in der Nähe von Zhongdian (etwa 3.300 m üb. NN). Da er kein Englisch verstand, versuchte ich ihm zu erklären, was ein See ist. Das war ihm auch völlig klar. Wo war das Problem? Wollte er mehr Geld und mich bei Weigerung hier aussetzen? Dank Handy, das hier auch funktionierte, konnten wir meine Wirtsleute anrufen. Die Lösung war sehr einfach. Dieser See ist ein „seasonal lake“, ein jahreszeitlich begrenzter See, der sich im Hochsommer in ein riesiges Grasland verwandelt. Er ist somit auch nur wenige Meter tief. Diese ausgefallenen natürlichen Bedingungen werden nicht von vielen Pflanzen toleriert. Im Wesentlichen waren es gelbe Büschel von Euphorbia nematocypha und Stellera chamaejasme. Die erstere färbt sich im Herbst glühend rot. Stellera chamaejasme wird auch in den feuchten Steppen der Mongolei gefunden. Orchideen fand ich leider nicht.

Euphorbia nematocypha im Napa-See

Stellera chamaejasme

Anemone rupestris  

Lotus corniculatus var. japonicus

Aster souliei

Gentiana asterocalyx

Iris ruthenica var. nana

Mit dem Jeep zum Himmels-See

Die blumenreichste Tour war die zum Himmels-See. Sie führte mich auf über 4.000 m Höhe. Leider war es auch die letzte, doch davon später. Kevin fuhr den Jeep, seine Frau war ebenfalls dabei und einen Führer hatten sie auch noch engagiert. Stundenlang ging es bergauf und nur einmal trafen wir auf ein anderes Auto mit dessen Besatzung es einen heftigen Disput gab. Worum es ging, wurde mir leider nicht gesagt. No problem! Ich vermute es waren Forstbeamte oder ähnliches, die nicht wollten, dass ein Ausländer hier oben herumkriecht. In den Tälern fanden wir längliche, geduckte Holzhäuser mit tibetischen Hirtenfamilien, die im Sommer hier oben ihre Yaks weiden. Wenn ich in der Nähe der Häuser aussteigen wollte, um Blumen zu fotografieren, musste ich zunächst eine Weile abwarten, bis die Hunde von ihren Besitzern zurück gepfiffen wurden und beide uns „beschnuppert“ hatten. Meine chinesischen Wirtsleute meinten, dass sie die Sprache der Hirten nicht verstehen aber an ihrer Mimik und Gestik  deutlich wurde, dass wir doch willkommen sind. An einer Stelle ging es sehr steil bergan, so dass wir aussteigen mussten, damit Kevin allein mit dem Auto die Steigung meistern konnte.

Hengduan Gebirge

Siedlung der Yakhirten

Iris und Primeln

In den Tälern auf dem Weg zum Himmels-See fanden wir herrliche Blumenwiesen mit Iris, Vergißmeinnicht, Adonisröschen und den verschiedenen Primelarten. Im Hochland von Yunnan gibt es 100 verschiedene Primelarten, 110 Arten Gentiana und 216 Arten von Pedicularis.

Incarvillea zhongdianensis

Einige Pflanzen sind nur hier zu finden und tragen dann auch den Artnamen, zhongdianensis, wie z. B. Incarvillea zhongdianensis. Im Unterschied zu I. forrestii sind die Blätter tiefer eingeschnitten und die seitlichen Blütenblätter sind bei I. zhongdianensis etwas zurückgeschlagen oder verdreht. Zunächst dachte ich, die Blüten seien schon etwas welk, aber ich konnte nur Blüten mit zurück geschlagenen Blütenblättern finden. Die Vielzahl der Pflanzenarten im Hochland von Yunnan ergibt sich sicher auch daraus, dass wir z. B. auf dieser Tour zum Himmelssee 1.000 Höhenmeter überwunden haben. Die Wiesen waren auch hier oben sehr oft überweidet, und es steht zu befürchten, dass endemische Pflanzenarten möglicherweise unwiederbringlich verloren gehen.

Incarvillea forrestii 

Cynoglossum amabile ist wohl ein Synonym für Hackelia uncinata bzw. H. glochidiata. Das Chinesische Vergißmeinnicht soll  in verschiedenen Himalaja-Tälern in Höhen von 2.400-3.500 m vorkommen. Die Pflanze wird als Himalaja-Blume bezeichnet und wird sehr oft im Zusammenhang mit dem „Valley of Flowers National Park“, einem indischen Nationalpark im West-Himalaya genannt. Leider sind sich die Quellen nicht einig, ob die Pflanze nun ein- oder zweijährig ist oder gar eine Staude. Samen kann man jedenfalls kaufen.

Cynoglossum amabile

Mecacodon ist eine Gattung der Enziangewächse und hat nur zwei Arten. Mecacodon stylophorus kommt in Höhen von 3000 bis 4400 m und nur im Ost-Himalaya vor. Über eine Verwendung der Pflanze im Garten ist nichts bekannt.

Für Adonis brevistyla gibt es schon eher Hinweise auf eine Gartenverwendung.

Pedicularis siphonantha    

Nach etwa drei Stunden Fahrt haben wir den Himmelssee in 4.000 m Höhe erreicht. Das Seeufer ist ziemlich flach für einen Gebirgssee. Es ist mit Rhododendrenbüschen in vielen verschiedenen Farben und Größen bedeckt, d. h. es müssen auch verschiedene Arten sein. Im Hochland von Yunnan gibt es 200 verschiedene Arten von Rhododendron. Leider reicht der Platz nicht aus, sie hier zu zeigen. Von den Blütenstauden fallen die überall in Yunnan vorkommenden Primula secundiflora und P. sikkimensis als erstes ins Auge. Es war so schön hier, dass ich am liebsten ein paar Tage hier oben geblieben wäre. Erstaunt war ich, dass in 4.000 m Höhe auch ein Feuerkolben, Arisaema elephas zu finden ist. Bisher hatte ich Vertreter der Gattung auf japanischen subtropischen Inseln und im Kuju Hochland in 1.000 m Höhe gefunden. Sie werden auch als Kobralilien bezeichnet, da sie wie eine aufgerichtete Kobra auf der Wiese züngeln. Eine fast schon gespenstige Erscheinung.

Rhododendren und Primeln am Himmels-See

Arisaema elephas, Kobralilie

Veratrilla bailloni

Iris delavayi

Nomocharis forrestii ist eine weithin rosa leuchtende, etwas zarte Blume. Zur Gattung gehören weniger als 10 Arten, und sie sind auch nicht klar unterschieden. Ein Bild, ähnlich dem meinen, wird bei Wikipedia als N. aperta bezeichnet. Wenn man eine so schöne Pflanze sieht, fragt man sich sofort, warum habe ich sie noch nie in einem Garten gesehen? Sicher sind es die ganz besonderen Bedingungen hier oben im Hochland von Yunnan, die nur im Liebhabergarten erfüllt werden können. Besonders gefreut habe ich mich, dass ich Vertreter meiner Lieblingsstauden hier oben gefunden habe, Rodgersien und Ligularien. Während Rodgersia pinnata, obwohl sie nur in 2.000 bis 3.800 m Höhe vorkommt, eine bekannte Gartenstaude ist, gibt es über Ligularia lankongensis kaum Informationen, erst recht nicht über eine Verwendung im Garten. Sollten doch noch Schätze für unsere Gärten im Hochland von Yunnan schlummern?

Rodgersia pinnata

Ligularia lankongensis oder L. macrophyllum

Iris spec.

Lilium souliei 

Primula chionantha ssp.sinopurpurea

Himmels-See

Leider zogen schon bald dicke Wolken auf, und meine Begleiter mahnten zur Eile. Sie meinten, wenn es hier einen Regen gibt, verwandeln sich die Wege in Sturzbäche, und wir kommen nicht mehr runter. Da ich auch ein bisschen Höhenkrankheit spürte, willigte ich notgedrungen ein. Die Höhenkrankheit habe ich bei meiner Reiseplanung leider überhaupt nicht berücksichtigt, und deshalb bin ich vorsichtshalber am Tag nach der Tour zum Himmelssee zurückgeflogen. Was hatte ich falsch gemacht? Ich flog an einem Tag von Nanjing, etwa in Meereshöhe, nach Kunming in 2.000 m Höhe und gleich anschließend nach Zhongdian in 3.300 m Höhe. Die „Oxygen-Bar“am Busparkplatz des Bita-Sees amüsierte mich, und das Verhalten eines Amerikaners in Kevins Trekker Inn war mir unverständlich. Er frühstückte morgens mit mir, und als ich am Nachmittag von meinem Ausflug zurückkam, saß er immer noch da. „Was hast du denn heute gemacht?“ fragte ich ihn. Seine Antwort: „I had a second cup of coffee, that was it for today!“. Er erzählte auch, dass er sich zunächst ein paar Tage in Kunming akklimatisierte, bevor er nach Zhongdian flog. Leider konnte ich durch meine Unachtsamkeit nicht alle geplanten Touren im Hochland von Yunnan erfüllen.

Mehr über Land und Leute unter: http://globetrotter-wegner.de/Seiten/Shangri-La.html